Perlen vor die Säue
Verfasst: 12. Jul 2004 21:26
Wie wäre es, wenn wir hier aus aktueller Lektüre zitieren, "Stellen", die uns, aus welchen dunklen Gründen auch immer, besonders berührt oder einfach nur gefallen haben - so gut gefallen, dass wir sie den anderen schönen Seelen (oder Stuhlsäulen) hier nicht vorenthalten wollen.
Es wäre gut oder schlecht, ich tu es einfach.
Wie der Teufel will, habe ich nämlich gerade so eine "Stelle" zur Hand.
Erzählt wird vom Tod des Großvaters:
In jenem Kämmerchen sah ich ihn einige Tage später tot, zur letzten Reinigung auf einem mit Weißblech überzogenen Tisch ausgestreckt liegen. Mein Großvater hatte einen um einige Jahre jüngeren Bruder, der ihm auf verblüffende Weise ähnelte: beide hatten sie den gleichen vollkommen runden Kopf, wie eine kleine Kugel, die von glänzendem weißen Flaum bedeckt war, den gleichen lebendigen und durchdringenden Blick und den gleichen spärlich behaarten Bart, der wie Schaum mit vielen Löchern aussah.
Dieser Onkel beanspruchte von der Familie die Ehre, den Toten zu waschen, und obschon alt und schwächlich, machte er sich mit großen Eifer an die Arbeit.
Er zitterte vom Kopf bis zu den Füßen, als er die Wassereimer vom Wasserhahn im Hof in die Küche zum Aufwärmen schleppte.
Als das Wasser warm war, trug er es ins Kämmerchen und begann, den Leichnam mit Kernseife und Strohwischen zu waschen.
Während er rieb, flossen ihm die Tränen in den Mund; er sog sie zwischen den Zähnen hindurch ein und sprach flüsternd, bitter schluchzend – als hätte Großvater hören können, was er sagte – auf ihn ein: „Sieh, was für ein Tag ... Sieh, wo mich meine schwarzen Tage hingeführt haben ... Du bist nun tot, und ich wasche dich ... Wehe mir ... so lange mußte ich leben, daß ich auch diesen traurigen Augenblick noch erleben muß ...“
Mit dem Ärmel seines Anzugs wischte er sich über die Wangen und den tränennassen und verschwitzten Bart und wusch mit wachsendem Eifer.
Die beiden Alten, einander erstaunlich ähnlich, der eine tot, der andere ihn waschend, boten einen leicht betörenden Anblick. Die Leute vom Friedhof, die gewöhnlich diese Arbeit verrichteten und dafür von der Familie Trinkgelder bekamen, saßen in einer Ecke und sahen verärgert dem Eindringling zu, der ihnen den Beruf geraubt hatte. Sie flüsterten untereinander, rauchten und spuckten überallhin. Nach etwa einer Stunde Arbeit war Großvaters Bruder fertig.
Der Leichnam lag mit dem Gesicht nach unten ausgestreckt auf dem Tisch.
„Bist du fertig“, fragte ihn jemand aus der Gruppe, ein Männchen mit rötlichem Bart, das nervös und voller Boshaftigkeit mit den Fingern schnalzte.
„Ich bin fertig“, antwortete der Bruder des Toten, „nun kommt, lasst uns ihn anziehen...“
„Aha! Du bist also fertig, meinst du“, sagte das Männchen voller Ironie. „Du glaubst also, du seist fertig? Glaubst du, daß man so einen Toten beerdigt? So verdreckt?“
Der arme Alte blieb, einen Strohwisch in der Hand, verwundert mitten in der Stube stehen und blickte uns alle, die wir in der Stube waren, mit stillen, Verteidigung erflehenden Blicken an. Er wußte schließlich, dass er den Toten mit größter Aufmerksamkeit gewaschen hatte, und konnte nicht glauben, daß er dafür beschimpft und beleidigt werden durfte.
„So, nun werde ich dir zeigen, daß du dich nicht in Dinge einzumischen hast, von denen du nichts verstehst“, fügte das Männchen frech hinzu, und dem Alten den Strohwisch aus der Hand reißend, stürzte es damit zum Tisch, führte ihn mit einer schnellen Handbewegung in den After des Toten ein und holte ein dickes Stück Exkrement hervor...
„Siehst du, daß du keinen Toten waschen kannst?“, sagte es. „Wolltest du ihn mit diesem Dreck hier beerdigen?“
Großvaters Bruder wurde von einem heftigen Zittern geschüttelt und brach in Tränen aus...
(aus M. Blecher: Aus der unmittelbaren Unwirklichkeit)
Hm. Das nächste Mal wähle ich vielleicht doch lieber die Beschreibung einer zarten Morgenstimmung.
Es wäre gut oder schlecht, ich tu es einfach.
Wie der Teufel will, habe ich nämlich gerade so eine "Stelle" zur Hand.
Erzählt wird vom Tod des Großvaters:
In jenem Kämmerchen sah ich ihn einige Tage später tot, zur letzten Reinigung auf einem mit Weißblech überzogenen Tisch ausgestreckt liegen. Mein Großvater hatte einen um einige Jahre jüngeren Bruder, der ihm auf verblüffende Weise ähnelte: beide hatten sie den gleichen vollkommen runden Kopf, wie eine kleine Kugel, die von glänzendem weißen Flaum bedeckt war, den gleichen lebendigen und durchdringenden Blick und den gleichen spärlich behaarten Bart, der wie Schaum mit vielen Löchern aussah.
Dieser Onkel beanspruchte von der Familie die Ehre, den Toten zu waschen, und obschon alt und schwächlich, machte er sich mit großen Eifer an die Arbeit.
Er zitterte vom Kopf bis zu den Füßen, als er die Wassereimer vom Wasserhahn im Hof in die Küche zum Aufwärmen schleppte.
Als das Wasser warm war, trug er es ins Kämmerchen und begann, den Leichnam mit Kernseife und Strohwischen zu waschen.
Während er rieb, flossen ihm die Tränen in den Mund; er sog sie zwischen den Zähnen hindurch ein und sprach flüsternd, bitter schluchzend – als hätte Großvater hören können, was er sagte – auf ihn ein: „Sieh, was für ein Tag ... Sieh, wo mich meine schwarzen Tage hingeführt haben ... Du bist nun tot, und ich wasche dich ... Wehe mir ... so lange mußte ich leben, daß ich auch diesen traurigen Augenblick noch erleben muß ...“
Mit dem Ärmel seines Anzugs wischte er sich über die Wangen und den tränennassen und verschwitzten Bart und wusch mit wachsendem Eifer.
Die beiden Alten, einander erstaunlich ähnlich, der eine tot, der andere ihn waschend, boten einen leicht betörenden Anblick. Die Leute vom Friedhof, die gewöhnlich diese Arbeit verrichteten und dafür von der Familie Trinkgelder bekamen, saßen in einer Ecke und sahen verärgert dem Eindringling zu, der ihnen den Beruf geraubt hatte. Sie flüsterten untereinander, rauchten und spuckten überallhin. Nach etwa einer Stunde Arbeit war Großvaters Bruder fertig.
Der Leichnam lag mit dem Gesicht nach unten ausgestreckt auf dem Tisch.
„Bist du fertig“, fragte ihn jemand aus der Gruppe, ein Männchen mit rötlichem Bart, das nervös und voller Boshaftigkeit mit den Fingern schnalzte.
„Ich bin fertig“, antwortete der Bruder des Toten, „nun kommt, lasst uns ihn anziehen...“
„Aha! Du bist also fertig, meinst du“, sagte das Männchen voller Ironie. „Du glaubst also, du seist fertig? Glaubst du, daß man so einen Toten beerdigt? So verdreckt?“
Der arme Alte blieb, einen Strohwisch in der Hand, verwundert mitten in der Stube stehen und blickte uns alle, die wir in der Stube waren, mit stillen, Verteidigung erflehenden Blicken an. Er wußte schließlich, dass er den Toten mit größter Aufmerksamkeit gewaschen hatte, und konnte nicht glauben, daß er dafür beschimpft und beleidigt werden durfte.
„So, nun werde ich dir zeigen, daß du dich nicht in Dinge einzumischen hast, von denen du nichts verstehst“, fügte das Männchen frech hinzu, und dem Alten den Strohwisch aus der Hand reißend, stürzte es damit zum Tisch, führte ihn mit einer schnellen Handbewegung in den After des Toten ein und holte ein dickes Stück Exkrement hervor...
„Siehst du, daß du keinen Toten waschen kannst?“, sagte es. „Wolltest du ihn mit diesem Dreck hier beerdigen?“
Großvaters Bruder wurde von einem heftigen Zittern geschüttelt und brach in Tränen aus...
(aus M. Blecher: Aus der unmittelbaren Unwirklichkeit)
Hm. Das nächste Mal wähle ich vielleicht doch lieber die Beschreibung einer zarten Morgenstimmung.