Als der Hamburger Kommissar Jan Fabel an den neuesten Tatort gerufen wird, ahnt er schon, daß der unheimliche, gesichtslose Gegner wieder zugeschlagen hat. Wieder findet die Polizei in einer Wohnung eine tote Frau und wieder wurde sie nach einem mystischen Wickinger-Ritus geradezu hingeschlachtet: Bei lebendigem Leib wurde ihr der Brustkorb geöffnet und es wurden ihr die Lungenflügel über die Schultern geworfen. Diese Blutadler-Hinrichtungsart hat der große Unbekannte zu seinem Markenzeichen erkoren, und Kommissar Fabel als Gegner gleich dazu.
Denn wieder meldet sich der Feind per e-mail bei ihm, um ihn zu verspotten und zu prophezeien, daß er zu spät kommen wird.
Immer...
Der Schotte und Hamburgfreund Craig Russel, Sohn einer deutsch-britischen Ehe, findet sich aktuell auf den Bestsellerlisten wieder. Sein Debütroman wurde bereits in 16 Länder Europas verkauft und macht dort Furore.
Und es ist mir ein absolutes Rätsel, weshalb.
Selten habe ich ein solches, zusammengestümpertes, inkonsistentes Machwerk in den Händen gehabt.
Ein oberflächlich touristischer Blick auf Hamburg reicht nicht, um eine Atmosphäre entstehen zu lassen und ein tiefer Griff in die Klischee-Kiste des Thrillers an sich noch viel weniger, ein spannendes Buch zu schreiben.
Russell läßt dabei kaum etwas aus. Die obligatorischen alten und neuen Nazis spielen genauso eine Rolle wie die neugierige Journalistin, der geheimnisvolle Reiche, über den keiner etwas weiß, wie die verqueren Satanisten und die Geheimdienste.
Wobei letztere außerordentlich peinlich sind, schafft es Russell doch, den BND und den Bundesverfassungsschutz zu verwechseln und dem BND die Rolle des lokalen Geheimdienstes zuzuschreiben.
Das alles ist schon schlimm genug.
Aber es kommt noch schlimmer.
Trotz des blutigen Titels gelingt es Russell nicht, auch nur einer einzigen Figur über bloße Behauptungen hinaus einen Charakter und ein Leben einzuhauchen.
Alle, und dabei insbesondere der "Held" der Geschichte, bleiben blasse Strichzeichnungen ohne Gesicht und Eigenschaften, die sie dem Leser in irgendeiner Form näher bringen würde.
Fabels Nichtexistenz kulminiert schließlich in seiner Ähnlichkeit mit dem Autor, denn auch Fabel hat natürlich eine britische Mutter.
Nur fängt er nichts damit an; und der Autor schon garnicht.
Wie schon erwähnt, ist es ein Rätsel, was solch ein dilettantisches Schrifttum zu einem Bestseller werden läßt.
Als (schwache) Erklärung könnte vielleicht dienen, daß der schon pathologische Drang zum Splatter in "ernsthafen" Werken, wie er in den letzen zwei Jahren verstärkt in der Filmproduktion zu bemerken ist (SAW I + II, Hostel und Ähnliches) nun auch die Literaturszene erreicht hat, was angesichts der Vorlaufzeiten für eine Buchveröffentlichung durchaus möglich wäre.
Und Blutadler ist blutig.
Doch das darin stattfindende Gemetzel läßt den Leser völlig kalt, da es dem Autor auf keiner Seite gelingt, Sympathie für und Angst um eine der Figuren zu erzeugen.
Kopfschüttelnde 3 von 10 Punkten.