Abgeschnittene Köpfe und ähnliches

Philosophische Höhenflüge und Abstürze
joswig
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Abgeschnittene Köpfe und ähnliches

Beitrag von joswig »

Gestern habe ich in Spiegel-Online den Bericht über das langsame Abschneiden des Kopfes eines Amerikaners vor laufender Kamera gelesen.

Mir wurde ernsthaft übel. Ich war lange nicht mehr so angewidert, -geekelt und auch verängstigt wie nach diesem Artikel. Ich habe den ganzen Tag die Vorstellung des grauenvollen Spiels nicht mehr aus meinen Gedanken herausbekommen und habe auch heute noch daran zu arbeiten.

Warum? Weil es passierte? Kann kaum sein, es passieren mit Sicherheit täglich noch viel grauenhaftere Dinge auf der Welt.

Weil es nah dran ist, getreu dem Grundsatz: 'Mitleid ist die Grösse des Unglücks geteilt durch das Quadrat der Entfernung?'
Nein, das ist eigentlich alles ziemlich weit weg. Ich bin kein Amerikaner und der Irak ist weit. Viel weiter als das Kosovo z.B.

Weil es mit Absicht gefilmt wurde?
Ja. Das muss es sein. Weil es gefilmt wurde und ins Internet gestellt wurde. Weil die Eltern und sonstigen Verwandten das Video ansehen konnten (und wahrscheinlich auch mussten).

Sollen wir uns das ansehen? Nein. Auf keinen Fall.
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trigger
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Beitrag von trigger »

Das ist für mich inzwischen weniger eine Frage der Moral als der Zerebralhygiene.
Das soll nicht in meinen Kopf. Das ist nicht gut für ihn.
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mordsfilm
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Beitrag von mordsfilm »

Die Ausschnitte, die rund um die Uhr im Fernsehen laufen, reichen vollkommen, auch wenn sie aus <DEPPENACCENT> <DEPPENACCENT> stoppen, als der Täter das Opfer zur Seite reißt und das Messer in der Hand hat.

Ich muß sagen, daß mich die Tatsache dieses Mordes und deren Verbreitung im Internet eigentlich nicht sonderlich berühren, obwohl ich sonst mehr das Sensibelchen bin, was Gewalt und deren Darstellung betrifft.

Nur sind für mich der Irak-Feldzug und beinahe mehr noch der sogenannte Frieden danach derart eindeutige Synonyme menschlicher Perversion, daß mich da nichts mehr erschüttern kann.

Es geschehen in jeder Minute im Irak Grausamkeiten ähnlicher Art mit anderen Tätern und Opfern, ohne daß diese in gleicher Weise dokumentiert werden oder auch nur ähnlich die Weltöffentlichkeit erschüttern.

Es gibt keinen sauberen Krieg.

Es gibt auf den Schlachtfeldern selbst nie Sieger, immer nur Verlierer.

Diejenigen, die andere, aus welchen Gründen auch immer, ins Massenschlachten hetzen, werden am Ende immer diejenigen sein, die auch die moralische Seite für ihr ganz persönliches Handeln reklamieren.

Und sich selbst zu Siegern erklären.

Aber jeder, der starb war Sohn oder Tochter eines Menschen.

Und auch der, der ihn tötete.
joswig
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Beitrag von joswig »

Ich weiss, dass es nicht das Grausamste ist, was zur Zeit passiert.
Ich weiss, dass es immer Familien der Opfer gibt.
Ich weiss, dass ich eigentlich nicht so erschüttert sein dürfte, weil das extrem wenig zur Grösse des Schrecknisses passt.

Deswegen habe ich mich ja auch gefragt: Warum nimmt es mich so mit? Warum funktionieren diesmal meine Verdrängungs- und Abschottungsmechanismen nicht? Warum war ich mehrfach kurz vor dem Heulen?

Ich finde kaum ein Antwort. Die eine ist die, dass ich, seit ich Kinder habe, ein immer schlimmeres Sensibelchen werde.

Ansonsten fällt mir eben nur noch die Tatsache ein, dass das ganze von den Tätern extra ins Netz gestellt wurde und vielleicht damit mir unglaubich nah kam. Ich sitze ja rein beruflich den ganzen Tag vor dem Rechner.

Mir ist aber heute zum Glück ein bischen weniger übel als gestern.

Ganz manchmal entlblöszt eben die Wirklichkeit ihre grausame und kalte Fratze für einen ganz kurzen Moment und ich sehe das, was ist, ohne die üblichen vorgeschalteten Wahrnehmungsfilter und Verarbeitungsmechanismen so, wie es ist. Gott sei Dank sind diese Momente wirklich nur kurz.
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mordsfilm
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Beitrag von mordsfilm »

Ich denke, es kann tatsächlich etwas mit der Geburt Deiner Tochter und deren Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit zu tun haben.

Sowas ist ja kein rationaler Vorgang und das, was Dich dabei bewegt und erschüttert, spielt sich im Unterbewußten ab.
Es ist Dir möglicherweise einfach bewußt, daß auch dieses Menschenwesen, das da gerade geschlachtet wird, eben auch mal ein so kleines, hilfloses und geliebtes, behütetes Wesen war, ohne daß es bis in sprachliche Bereiche des Verstandes vordringt.

Mir ging es bei jedem Baby genauso.

Ich war extrem für Gewalt aller Art sensibilisiert und hatte teilweise einige Schwierigkeiten, meine Stories so zu stricken, wie es gewünscht war.

Jetzt, da die Jüngste 5 ist, merke ich daß dieses Übersensibilität nachgelassen hat und ich auch meinen eigenen Geschöpfen in meinen Büchern wieder viel mehr und hemmungsloser Gewalt antun kann (damit ist nun nicht nur das Töten gemeint, es gibt nachhaltigere Formen von Gewalt als die schnelle Exekution), als in meinen Babyphasen.

Diese Phase wird also wahrscheinlich auch bei Dir vorübergehen.

Was natürlich nichts damit zu tun hat, daß es Dich jetzt irritiert und verwirrt und Du die Bilder und das Erleben und das darüber Denken am liebsten ganz weit in irgendeine dunkle Kammer verbannen würdest.

Ich verstehe Dich.

Auch wenn <DEPPENACCENT> vielleicht nicht glauben mag...

8)
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trigger
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Beitrag von trigger »

Mir geht das auch sehr nah und nach.
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maximus
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Beitrag von maximus »

Was mich ankotzt ist die Tatsache, das ich die Täter dafür verachte, ja
es ist Hass dabei, und das ist ja genau das, was Die erreichen wollen.

Es ist auch sehr traurig, das Sie mit Sicherheit sehr viele Menschen zu
dieser Gegenreaktion treiben.

G. W. Bush bekommt so neues Futter für seine Kriegsmaschiene.

Alfredo
When you reverse, things tend to come from behind! (Snatch)
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FoLLgoTT
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Beitrag von FoLLgoTT »

Die Tatsache, daß es nur geschah, um gefilmt zu werden, ist das, was auch mich besonders berührt. Es ist wie mit Snufffilmen. Daß ein Mensch im Affekt oder auch geplant ermordet wird, finde ich nicht wirklich schlimm bzw es juckt mich inzwischen nicht mehr. Da ist man einfach zu abgestumpft und man bekommt es ja auch nicht richtig mit. Aber das nur zu tun, um den Moment der Tötung komplett audiovisuell festzuhalten, ist eine ganz besondere Art der Perversität! Solchen Leuten gönne ich die gleiche Strafe, wie ich sie Vergewaltigern und Kinderfickern gönne, nämlich Auge um Auge, Zahn um Zahn. Und danach unter Folter zerstückeln, ganz langsam...

Ich muß aber gestehen, daß mich dieses Video extrem fasziniert. Ich habe sofort, als ich davon gelesen hatte, nach der Homepage mit der Vollversion gesucht. Sie aber (wahrscheinlich zum Glück) nicht gefunden.
Ruckedigul, Blut ist im Stuhl!
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hpt.mumm
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Beitrag von hpt.mumm »

Die Tatsache, das ich um diese "Bilder" herumgekommen bin, habt Ihr mir nun endgültig versaut. Dafür schon mal vielen Dank. :flagus:
Ich wusste es: Wer zum Bund geht kann nur dov sein.
Niemand sonst kann von sich persönlich behaupten, das Krieg aus einem Menschen einen ganzen Kerl macht.
Von mir aus auch eine ganze Frau.

Krieg ist Scheiße. Punkt. Aus. Feierabend.

Falls ehemalige Wehrdienstpflichtige unter uns sind; Da habt Ihr ja richtig was gelernt: Strammstehen, Waffen putzen, Hemden falten und sonst jawoll "Mein HerrOvD" sagen. (oder wie auch immer)
Als Konsequenz werden dann den Kriegsgefangenen die Köpfe abgeschlagen.
Was ist Neu?
Nichts.
Das Thema möchte ich genauso unreflektiert weitergeben, wie ich noch zu meiner Schulzeit dagegen protestiert habe.
UND WIR HATTEN DAMALS SCHON RECHT, es geht nur um das öl.


Liebe Grüße

Robert
13

Beitrag von 13 »

hallo,

vor einigen Monaten hab ich mal versucht einen Film aus dem Internet zu laden :"Texas chainsaw Massacre"- das Remake . Ich habs dann aber nach einigen Stunden mühseligem downloaden sein gelassen , <DEPPENACCENT> mir zu blöd wurde tagelang einen Film in mieser Qualität runterzuladen, den ich sowieso irgendwann mal von <DEPPENACCENT> Videothek leihen kann ( irgendwelche eselige Client-Software kommt mir auch nicht auf den Rechner ). Naja, das Orginal vom "Poltergeist"-Regisseur find ich eigentlich gut, weil man während dem Film mehr und stärker
gegenüber der recht real dargestellten Gewalt desensibilisiert wird. Ein echter Schocker ist der Film.
Um den Film im Internet zu finden gab ich als Suchbegriff ( Mordsfilm <DEPPENACCENT> mir nachsehen )
"Horror" ein und bekam so einiges als Ergebniss. Da ich den Rechner gerne arbeiten lasse, hatte ich mal wahllos auf kleinere Files zum downloaden gegklickt u.a. war der Mord an Kennedy in Dallas dabei ( auch nicht schön, egal wer die Rübe weggeblasen bekommt ) und eine
unkommentierte private Aufnahme von einem Mord an einen russischen Soldaten. Diese Bilder haben mich auch tagelang verfolgt. Nachdem sich mir diese Minuten-Szenen ins Hirn brannten, wurde die download Aktion komplett gecancelt und ich musste mir "Geliebte Aphrodite" und "Harry ausser sich" angucken, um die zuvorgesehenen Szenen zu kompensieren, bestenfalls verdrängen- mit mässigem Erfolg.
Die Details der realen Szenen sind in ihrem Umfang kaum nachzustellen, seien es die gelben Fettbläschen von Kennedys zerfetzter SChädeldecke oder die in Todesangst nervös umherschauenden Augen des Soldaten kurz bevor die Klinge in seinen Hals eintauchte - schrecklich, wenn man sowas nicht gewohnt ist. Die realen Szenen zu sehen macht die Situation für mich möglicher, als es vorher war. Trigger hat recht, das tut der Birne nicht jut. Unsereins ist dargestellte Gewalt gewohnt, schon so sehr, dass wir auch sehr ironisch mit dargestellter Gewalt umgehen können, da den Kinofilmbildern immer eine Gewichtung, sei es durch den Kontext oder der Absicht der Darstellung zuteil kommt, gleichzeitig die ungewichtete Realität dabei einbüsst. Die realen Bilder entblössen zwar nicht die Gewalt, die man auch aus Filmen kennt, es wird aber nicht wie bei Filmen etwas vorenthalten- in gewisser Weise ist es, denke ich, neben der Echtheit ( Authentizität wäre untertrieben ) das Ungewohnte, dass dabei Tage braucht, um verdaut zu werden. Eigentlich bin ich ganz froh, dass die echten Bilder mich sehr beschäftigt haben, möchte es aber keinem gönnen, diese Erfahrung durchzuleben.
Ein anderer Grund, dass diese Aufnahmen aufwühlen, sind wohl die Umstände der Inszenierung der Hinrichtung, die den Zuschauer der westlichen Welt zum Mitschuldigen am Tod des Mannes machen, was mich aber weniger bewegt, weil ich nicht glauben will, dass die Besatzung des Irak keine Opfer fordert. Dass solch intensive Bilder der Terrorakte der muslimischen Extremisten ausgerechnet jetzt, nachdem die Folterungen/Tötungen/Terrorakte der Besatzermacht im Irak durch die Presse laufen, lässt sich auch von einem Politisch-Propagandistischen Blickwinkel bewerten. Krieg ist wohl die unkontrollierteste Gewalterscheinung die man sich vorstellen kann. Bevor der Irak "erobert" wurde, waren Enthauptungen UND Folterungen auch im Saddam Regime gängig. Für die Irakis ist die Enthauptung wahrscheinlich noch relativ human, da es keine exzessive Gewalt für sie bedeutet. Was für die Muslime wahrscheinlich exzessiv ist, sind die aktuellen Bilder der Gefägnissinsassen im Bagdader Folterkeller und ich möchte mal behaupten, dass Menschen dort ermordet werden, ganz gleich, wer die Kontrollfunktion inne hat.
Amerika als Weltpolizei ist ein Witz , wie jeder andere auch, der uns diesen Krieg rechtfertigen soll.
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