Emily und Aurora sind ein paar Jahre älter geworden, leben immer noch in der "Stadt der Schornsteine" (London), haben ihren Platz in ihren Leben scheinbar gefunden und erhalten ihre Ausbildungen von ihren Mentoren, die sie in die Geheimnisse der Uralten Metropole einführen.
Die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, wie sie in "Lycidas" erzählt wurden, scheinen als "Die Manderly-Affäre" Vergangenheit zu sein, bis urplötzlich neue Unruhe die komplexe Welt unterhalb Londons erfaßt.
Menschen verschwinden und bis dato unbekannte Wesen treiben sich in den Tunneln und Röhren herum und attackieren alles und jeden.
Und wieder sind Emily und ihre Freunde gefragt, sich einer Bedrohung entgegenzustellen, deren Ursprünge wieder weit, weit in der Zeit zurückreichen.
Zunächst einmal liest sich Marzi inzwischen flüssiger, bzw. man hat sich an seinen Stil gewöhnt.
Allerdings begibt er sich mit dieser Fortsetzung des Überraschungserfolgs Lycidas auf eine Gratwanderung, bei der er schon öfter mal gewaltig ins Schwanken gerät.
Hat er sich bei Lycidas noch am Fantasy-Literatur-Kiosk an der Ecke bedient, so hat er für Lilith einen Großhandel nicht nur besucht sondern regelrecht überfallen und ausgeraubt.
Marzi pflügt hier mit einer Unverfrorenheit durch den Literatur- und Filmkanon des Genres, daß man teils nur noch staunend davorsteht.
Doch das reicht ihm diesmal nicht. Er bedient sich auch gleich noch bei realen Ereignissen der Geschichte und Archäologie, die er anpaßt, erweitert und verfremdet, um sie seinem Roman untertan zu machen.
Allerdings gelingt es ihm diesmal nicht immer, nicht ganz und nicht immer ganz überzeugend.
Marzi läuft hier akut Gefahr, dem Pullman Syndrom zu erliegen, der beim Abschluß der hochgelobten und bepreisten Lyra-Trilogie (Der gläserne Kompass, Das magische Messer, Das Bernsteinteleskop) VOLLKOMMEN den Überblick über seine selbst geschaffenen Welten verliert und am Ende nichts mehr wirklich zu erzählen hat.
Die Protagonisten interessieren so lange, wie sie uns nahe sind. Und nahe sind sie, wenn sei menschlich bleiben und nicht zu entindividualierten Kumulationsfunktionen wirrer Handlungsfäden aus unterschiedlichen Zeitebenen- und Stukturen degenerieren.
Doch genau DAS könnte passieren, wenn Marzi so weitermacht.
Er umschifft diese Klippen in diesem Roman nur haarscharf und kann sich nicht von dem Drang freimachen, seiner Fabulierfreude zu fröhnen, auch wenn es der Geschichte und deren Verständnis nicht wirklich dient.
In Lilith schiebt er zwei ausschweifende Tagebuchpassagen einer neuen Protagonistin der zweiten Reihe ein, die im Endeffekt nicht wirklich zur Erhellung der Geschichte beitragen und einfach deshalb irritieren, weil sie den Leser zu lange von der Heldin Emily und ihren Gefährten und -innen (Weltfrauentag, so viel Zeit muß sein...) fortführen.
Fazit: Auch Lilith ist lesbar und teilweise spannend, jedoch in einigen Passagen auch redundant ("Der zweite Roman darf nicht dünner sein als der erste...) und nicht so bewegend.
Ziemlich knappe 6 Punkte von 10.
Christoph Marzi - Lilith
Christoph Marzi - Lilith
Zuletzt geändert von mordsfilm am 9. Mär 2006 08:18, insgesamt 1-mal geändert.